Philipp: Kannst du erzählen, was du mit der Aufführung erlebt hast?
D: Ich war noch nie in den Naxoshallen und deswegen war dieser Besuch für mich ein Gesamterlebnis. Ich war relativ früh hier und habe die Halle noch völlig leer erlebt. Ich fand es absolut cool: die Bar, die Einrichtung, die Beleuchtung und jetzt diese Sumpfinstallation – das alles habe ich zusammen mit der Vorstellung erlebt.
P: Hattest du irgendwelche Erwartungen?
D: Nein, ich wusste nur, dass Hannah Steinmair das inszeniert hat. Die kenne ich persönlich und da habe ich gesagt: Das gucke ich mir mal an. Aber ich wusste nicht, was da kommt, und ich musste das einfach auf mich wirken lassen.
P: Kannst du beschreiben, was die Wirkung für dich war? Konntest du was damit anfangen?
D: Teils, teils, also ich habe verstanden, dass es um Helden ging – Helden, damit assoziiere ich natürlich irgendetwas. Am Anfang sollte man Helden nennen und da dachte ich, ich sage jetzt einen Fußballer, weil ich viel Fußball gucke. Mir ist aber keiner richtig eingefallen, deswegen habe ich einen Trainer genannt: Jürgen Klopp. Um einfach mal irgendetwas anderes zu sagen. Sonst gehe ich sehr oft in die Oper und da gibt es viele Helden, zum Beispiel Siegfried. Es gibt dieses Konzept von einem Helden, einem Heldentenor, von dem man ein idealisiertes Bild hat, das praktisch auch in der Geschichte überliefert wird. Aber dass dann jemand wirklich gestorben ist und auch brutal gestorben ist, das macht man sich nicht bewusst. Das war so ein Aspekt, den ich interessant fand.
Dann habe ich natürlich manche Sachen auch gar nicht verstanden. Zum Beispiel bei dem Helden Siegfried: der hat ja den Drachen getötet. Zumindest in der Oper und in der Nibelungensage wahrscheinlich auch muss er eigentlich überlebt haben, weil sonst könnte es die ganze Geschichte mit Kriemhild nicht geben. Also das hat mich ein bisschen irritiert, weil er hat in der Geschichte überlebt, und in der Aufführung ist er gestorben.
P: Wenn du dich festlegen müsstest, was würdest du sagen, war deine Reaktion?
D: Wahrscheinlich muss ich euch da enttäuschen, weil wahrscheinlich wollt ihr was zu der Aufführung wissen und ich kann das nicht von dem Ort trennen. Das ist ein cooler Ort und der Abend irgendwie ein Gesamtkunstwerk – mit diesem lauen Sommerabend, der tollen Location, so verwinkelt, und der strangen Sumpflandschaft und dann die unterschiedlichen Tode. Also unterschiedliche Themen an unterschiedlichen Orten. Ich glaube, dass auch diese Wechsel wichtig waren, weil dadurch war es auch sehr kurzweilig, so illustriert mit dieser Sound-Untermalung und mit diesem Mitgehen von Ort zu Ort. Das war ein sehr kurzweiliger, ästhetischer und unterhaltsamer Abend. Aber ohne dass ich jetzt irgendwo Tiefe gewonnen habe und ohne dass ich jetzt an irgendeiner Stelle sage: Ah, da muss ich nochmal drüber nachdenken.
P: Also es gab jetzt nichts, wo du besonders hängen geblieben bist, oder was dich irritiert hat?
D: Ich bin beim Siegfried hängengeblieben, weil ich weiß, dass er in der Szene eigentlich nicht gestorben ist. Manches kannte ich auch nicht: ich habe Braveheart nie gesehen, deswegen muss ich das jetzt mal so hinnehmen, Sokrates ist natürlich bekannt und Gladiator ist bekannt. Was war eigentlich noch? Die Literatur-Szene hat mich ein bisschen geärgert, weil ich auch sehr viel lese. Die Szene hätte ich laufen gelassen, weil da hätte mich interessiert, was noch gekommen wäre.
P: Also dich hat geärgert, dass es so früh unterbrochen wurde?
D: Dass es so früh zu Ende war. Zugegebenermaßen habe ich das verstanden, weil die Stelle sehr zäh war, aber das war auch bewusst so gemacht. Ich glaube die Textstelle wurde genau dafür rausgesucht und die sollte genau so vorgetragen werden. Aber mich hätten die anderen Bücher noch interessiert.
P: Wie ging es dir insgesamt mit dieser Beteiligung, oder damit, dass die Leute eingreifen können und auch sollen?
D: Naja gut, das kennt man ja so von Seminaren, von so Teambildungsseminaren und so Gruppenaktionen aus der Firma – ich arbeite ja in der Bank. Das hängt natürlich ganz stark von den Leuten ab, ob die sich trauen, ob die dafür offen sind, ob die mitmachen und ob die dieses Konzept verstehen.
P: Hattest du das Gefühl, das hat so funktioniert, wie das Team sich das vielleicht vorgestellt hat?
D: Ja, ich glaube schon. Aber so ganz habe ich nicht verstanden, was dann eigentlich nach den zehn Minuten passiert wäre – das muss ich zugeben.
P: Ja, das habe ich mich auch gefragt, was passiert eigentlich, wenn man eine Szene wirklich durchlaufen lässt? Passiert dann etwas anderes? Oder gilt dann sozusagen die vorher vereinbarte oder verkündete Behauptung, dass diese Heldenfigur oder dieser Heldenmythos dann weiter existiert? Also hat es irgendeine Konsequenz in der Performance oder hat es die eigentlich nicht?
Gab es in dem Stück etwas, das mit dem, was du insgesamt erlebt hast, also mit diesem unterhaltenden, irgendwie flockig lockeren, nicht zusammengepasst hat? Oder war etwas ganz anders, als das worüber wir bis jetzt gesprochen hatten?
D: Ja gut, es waren im Nachhinein gesehen schon sehr unterschiedliche Szenen. Die erste, also diese Braveheart-Geschichte, da wusste man ja noch nicht richtig was passiert. Aber dann war ja dieses Sterben und Röcheln schon sehr realistisch und beim Siegfried war es ein bisschen animierter durch den Sound. Ich glaube der Sokrates war ein bisschen herausgehoben, weil der wirklich so eine klassische Theaterszene war. Sie steht da mit dem Kostüm und man reicht ihr so theatralisch den Becher. Die anderen Szenen waren eher Performance. Und die letzte Szene, die hat glaube ich keiner verstanden. Oder man hat es erst hinterher verstanden. Also ich glaube, als sie dann verschwunden ist, da hat man gedacht: Ok, man hätte vorher wahrscheinlich „Stopp“ rufen sollen, weil sie kommt jetzt nicht wieder.
P: Würdest du dich wundern, wenn andere Menschen die Aufführung ganz anders erlebt hätten? Oder ein sehr gegensätzliches Erlebnis beschreiben würden?
D: Natürlich kann man das völlig anders empfinden. Ich bin sehr kulturinteressiert, aber ich gehe eigentlich eher in die Oper und ab und zu mal ins klassische Theater. Das Empfinden von einer Aufführung liegt sehr, sehr häufig an mir. Natürlich liegt es auch daran, wie es gemacht ist, wie gespielt und wie gesungen wird, aber es liegt ganz häufig auch an mir: wie ich drauf bin, welche Erwartungen ich habe, ob ich gut gelaunt bin, ob ich schlecht gelaunt bin, ob ich müde bin, ob ich aufmerksam bin oder ob ich relaxed bin. Ich gehe manchmal auch mehrmals in die gleiche Vorstellung. Und so empfinde ich die Aufführung schon völlig anders: an dem einen Tag so, an dem anderen Tag so. Und dann können andere das natürlich ganz anders empfinden. Es wird bestimmt Leute geben, die fragen: „Was soll das? Was ist das hier?“ Und andere vielleicht sagen: „Bitte noch emotionaler, ich springe in die Figuren und finde das ganz abgefahren.“
P: Man könnte auch vermuten, dass du sagst: „Was soll das hier?“, weil dir diese Form der Darstellung eher fremd ist, da du häufig in die Oper gehst. Aber du bist nicht irritiert, weil du nichts Spezielles erwartet hast.
D: Das könnte sein, wenn jemand sagt: „Ah, wir gehen jetzt mal ins studioNAXOS, ich habe mal Theaterkarten gekauft und wir gehen jetzt mal da hin.“ Wenn man irgendwie klassisches Theater erwartet, dann hätte das sein können. Aber da ich nichts erwartet habe und da ich von der Hannah online Rage angeschaut hatte, hatte ich keine Erwartung. Das Stück Rage fand ich schon skurril und dann dachte ich: Ok, man darf nichts erwarten, man muss das jetzt alles auf sich wirken lassen.
P: Würdest du sagen, es war heute auch skurril?
D: Nein. Im Gegenteil, es war von der Form her klarer, die Figuren waren klarer, weil es ja auch reale Figuren aus der Geschichte oder aus der Literatur gewesen sind. Bei diesem online Stück Rage, da wusste man gar nicht was jetzt passiert. Da gab es so Ausflippen, Schreien …
P: Man wurde sozusagen mehr an die Hand genommen. Kann man das sagen?
D: Oh ja. Es wurde ja sogar gesagt, jetzt geht dahin, jetzt folgt das, so läuft es ab.
P: Gab es etwas, wo du sagen würdest, das habe ich vermisst?
D: Vielleicht wäre es gut gewesen, wenn noch andere in die Figuren geschlüpft wären. Vielleicht wäre das doch ein bisschen abwechslungsreicher gewesen. Wenn nicht immer die Hannah alles hätte spielen müssen. Diese zwei Begleiter, die waren ja natürlich sehr passiv. Aber ne, das was ich gesagt habe ist Quatsch, da würde ich jetzt irgendetwas sagen, das ich gar nicht so empfinde.
P: Wofür würdest du sagen, hast du dir die Aufführung angeguckt? Oder wofür wollte das Team der Produktion dir das zeigen?
D: Ich muss nochmal ein bisschen darüber nachdenken, aber ich glaube, dieser Gegensatz zwischen dem idealisierten Helden, diesem Positiven, diesem Überstrahlenden, diesem Image, was man so kennt, zu dem, dass da ein Mensch brutal gestorben ist, finde ich interessant. Also das kann ich mir gut vorstellen, dass man eben so ein positives Bild hat von einem Helden, der aber ja eigentlich brutal gestorben ist oder auch zu Unrecht gestorben ist. Wenn man jetzt zum Beispiel mal Sokrates nimmt oder jemand, der sinnlos auf dem Schlachtfeld gestorben ist. Und manche sind ja auch nur ausgedacht gestorben, wie in der Literatur-Szene und dieser Julio-Iglesias- und Jack-Kerouac-Szene.
P: Kannst du sagen, das was du jetzt alles erlebt hast, ist etwas, das du im Theater oder mit Kunst erleben willst?
D: Ich glaube warum ich so gerne in die Oper gehe, ist, dass es eine absolut künstliche Situation ist. Das ist ja was Künstliches, da ist ein dunkler Raum, eine helle Bühne und dann singen sich Leute an. Das ist ja eigentlich schon ein bisschen skurril. Aber dieses Künstliche ist natürlich etwas sehr Abstraktes, so dass man sich sehr gut reinversetzen kann. Und die Oper nimmt sich halt Zeit für die Entwicklung von Figuren und da kann man, wenn man sich wirklich gut reinversetzen kann, unterstrichen durch die Musik, unheimliche Erfahrungen machen. Weil man in die Situationen und in die Figuren schlüpfen kann. Eigentlich ist das, wie, wenn man so einen Riesenroman liest und dann in die Figuren schlüpft und die Handlung nachvollziehen kann. Da lernt man sehr, sehr viel. Und das ist mir hier nicht gelungen, weil das einfach zu knapp gewesen ist. Das ist einfach zu sehr gestreift: da eine Figur, da eine Figur, da eine Figur, da habe ich es nicht geschafft, mich so reinzuversetzen, um irgendeine Erfahrung mit zu machen. Es war mehr so eine ästhetische, aber keine inhaltliche Erfahrung. Oper ist ganz anders, das ist intensiver, mit weniger Figuren und viel, viel länger. Da dauert ein Akt länger, als was jetzt hier eine ganze Vorstellung ist. Und da ist es eine viel, viel intensivere Erfahrung.
P: Du hast am Anfang einerseits das Erlebnis relativ positiv beschrieben und aber auch sowas gesagt wie: Das hatte aber jetzt keine Tiefe. Also diese zwei Seiten waren da, einerseits irgendwie nett, aber es ist nicht das was ich suche, wenn ich ins Theater gehe.
D: Ja, aber das macht ja nichts. Ich will ja nicht immer das gleiche sehen. Ich will ja nicht immer nach einem Prinzip Kunst schauen: Kunden die das gekauft haben, haben auch das gekauft. Ich habe so meine Sachen, was ich immer gucke, oder was ich immer lese, aber ich brauche auch immer mal einen Anstoß von außen. Ich lese viel, ich habe so einen kleinen Literaturzirkel und da habe ich Leute, die sagen: So, jetzt liest du mal was ganz anderes. Man muss ja auch immer mal rechts und links schauen und über den Horizont und mal was anderes kennen lernen.
P: Insofern ist es dann schon was, dass du erleben willst, aber andererseits auch nicht, oder?
D: Wenn ich sage, welchen Anspruch ich habe, oder was so große Kunst ist, das wäre ja die eine Frage. Aber trotzdem war das ein schöner Abend, ein schönes Erlebnis. Wenn ich jetzt die Wahl hätte: Ich gehe jede Woche in die Oper, oder ich gehe jede Woche in so etwas, dann würde ich mir das jetzt doch in größeren Abständen gönnen.