Philipp Scholtysik sprach am 11. März nach der Premiere von MUTTERWERK mit einer Person aus dem Publikum.
Philipp: Was hast du mit der Arbeit erlebt?
I: Die Auseinandersetzung mit dem Muttersein und was das eigentlich bedeutet. Das fand ich sehr spannend. Es gab ja drei Teile und am Anfang musste man sich entscheiden, welche der beiden Videoinstallationen man zuerst ansieht. Ich war zuerst in dem installativen Teil im Keller, über den es hieß, er sei „heftig und sinnlich“. Alternativ hätte ich mit der anderen Videoinstallation anfangen können, die ich dann als letztes, nach dem Performance-Teil gesehen habe. Ich weiß nicht so genau, was daran das „Sinnliche“ war, das erschließt sich mir nicht so wirklich. Aber „heftig“ war es. Bei der Performance selber, die man als zweites mit allen anderen aus dem Publikum zusammen gesehen hat, gab es, im Nachhinein betrachtet, eine ganz schöne Zusammenführung dieser drei Teile. Also der Mittelteil, die Performance, ist wirklich der Angelpunkt, der Drehpunkt. Das wurde mir dann am Schluss deutlich.
P: Kannst du beschreiben, was es mit dir gemacht hat?
I: Ich habe relativ häufig innerlich genickt. So ein: „ja, mhm“.
P: Bedeutet das, dass du Sachen wiedererkannt hast?
I: Es war weniger ein Wiedererkennen als eine Bestätigung: „Ja, das kenne ich, weiß ich, verstehe ich, ja, macht Sinn.“ Der Performance-Teil an sich ist eher ein persönlicher Teil gewesen, an dem ich auch sozusagen was Überpersönliches finden konnte. Die dokumentarischen Interviews im dritten Teil haben tatsächlich eher was Allgemeingültiges für mich gehabt. Das, was eine einzelne Frau dort erzählt hat, ist eigentlich nicht wirklich nur das Erleben dieser einzelnen Frau, sondern tatsächlich ein gesellschaftliches Erleben. Mehrere Frauen hatten in den Interviews sowas gesagt wie: „ich war so alleine mit meinen ganzen Gefühlen, Ängsten und Gedanken“. Aber wenn sie sich mit anderen hätten austauschen können, hätte sie häufig gehört: „Ja, mir geht es auch so!“. Und das Abnicken an solchen Stellen war bei mir auch so. Wiedererkennen jetzt nicht im Sinne von persönlich betroffen – auch – aber eben mehr so: „Ja, stimmt, macht Sinn, das ist nachvollziehbar.“
P: Das heißt du hattest keine so starke emotionale Reaktion darauf, sondern eher eine kognitive?
I: Ja, das ist grundsätzlich eher mein Zugang zur Welt. Und das Thema von Muttersein oder -werden an sich ist für mich nicht mehr so hochgeladen. Wo es eher noch eine hohe Ladung gibt, das ist dann tatsächlich das Thema in dem Performance-Teil. In dem es darum geht, welche Auswirkungen frühere Erlebnisse, also auch Erlebnisse von Vorfahren, auf uns heute haben. Aber das hat natürlich auch was damit zu tun, dass ich beruflich damit viel zu tun habe. Ich bin Psychotherapeutin und arbeite an der Stelle eben viel damit, und das prägt natürlich auch meinen Zugang.
P: Dabei hat die Arbeit, die Performance ja auch einen Zugang vorgeschlagen, oder?
I: Ich gucke mir die Welt erstmal an, und dann schauen wir mal weiter – ich lasse ich mich nicht unbedingt als erstes berühren. Ganz oft ist das mein Zugang zur Welt erstmal. Außer in konkreten Beziehungssituationen.
P: Gab es Momente, die dich berührt haben in irgendeiner Weise?
I: Ja, in der Performance auf jeden Fall. Es gab Situationen, in denen ich sehr interessiert war. Wäre das keine Performance, sondern ein Gespräch, wo mir jemand etwas erzählt, wären das Momente, wo ich nachfragen würde oder wo ich näherkommen wollen würde.
P: Also Momente, in denen eine Art von Beziehungsebene möglich werden würde? Oder wo man sie vielleicht als Person kennenlernt?
I: Ob als Person oder auch über diese Geschichte an sich, da gab es Momente, in denen ich einen Kontakt herstellen konnte – da war ich berührt. Da war ich emotional beteiligt. Was ich ganz spannend fand, ist, dass es in der Performance wirklich längere Zeiten gab, in denen ich nicht zugeguckt habe, sondern Teil davon war. Ich war nicht außerhalb, bis zu dem Punkt, wenn etwas passierte, wie ein plötzliches Geräusch. Das war für mich auch ein klarer Hinweis darauf: Mit dem Thema kann ich was anfangen – die Performance berührt mich wirklich.
P: Das ist eigentlich eine sehr starke emotionale Involvierung, wenn du nicht dieses Von-außen-drauf-gucken erlebt hast.
I. Aber das macht keine großen Gefühle, sondern ich bin dabei einfach nur drin.
P: Du hattest ganz am Anfang über den Raum mit der Videoinstallation im Keller was gesagt, das auch nach einer relativ emotionalen Reaktion klang.
I: Diese Videoinstallation insgesamt an diesem Ort fand ich irritierend. Weil ich den Ort zwar verstehe, aber nicht angemessen fand. Aber ich verstehe auch, dass es genau dadurch angemessen war, weil es einfach eine Verbindung gibt zu dem gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität, mit Körperlichkeit, mit Frausein, der eben auch so ist. Also das passt auch zum Keller: räudig, dieses Heilige und Hure, diese ganze Thematik da drin.
P: Und die Atmosphäre des Kellers hat geprägt, welcher Blick auf die Bilder der Installation nahegelegt wurde?
I: Ja, also die Umgebung dazu war nicht so richtig angemessen. Das ist kein schöner Raum. Also der hintere Keller, der geht noch, der hat was Archaisch-eigenes. Aber vorne und insgesamt ist es einfach schon ein Keller. Das ist ja wie in der Formulierung „da unten“ für weibliche Genitalien – nicht angemessen. Aber das ist gesellschaftlich eben auch so.
P: War das ein Erlebnis oder war das eher eine distanzierte kognitive Bewertung?
I: Es gibt ja auch so was, wie eine Verweigerung von emotionaler Beteiligung.
P: Weil da etwas angeboten wird, dem du nicht folgen möchtest?
I: Die Installation bildet natürlich schon auch eine Art von Realität ab. Aber für mich nicht, ich kann das nicht anerkennen. Ich weiß, dass es so ist und ich weiß, dass ich das so nicht ändern kann, also dadurch das nicht anzuerkennen. Aber ich finde das einfach blöd.
P: Gab es Momente, in denen auf der Kippe war, ob du eher distanziert oder eher involviert bist?
I: In dem oberen Raum, bei der Performance, da war das am ehesten so.
P: Wodurch ist das eigentlich entstanden, diese stärkere Involvierung bei dem Performance-Teil?
I: Das hatte weniger mit der Person zu tun als vielmehr mit dem Thema. Beziehungsweise das war nicht primär an eine Person geknüpft und aber auch nicht nur an die Performance an sich, sondern das war die Kombination davon. Vielleicht auch der Aspekt, dass da Emotionen im Raum zu spüren waren, die sich über die Videoinstallation nicht in dem Maße mitgeteilt haben. Und das ist tatsächlich auch allgemein so. Also Videoinstallationen sagen mir meistens nicht viel, ich reagiere eher genervt, weil es auf eine Art unpersönlich für mich ist.
P: Du bist auch nicht gekommen, um eine Installation zu sehen, sondern um eine Theaterarbeit zu sehen, oder?
I: Genau, ich bin für’s Theater gekommen.
P: Was hätte möglicherweise diesen Aspekt der Involvierung bei dem Performance-Teil noch verstärkt?
I: Es war ja nun dadurch eine extreme Ausnahmesituation, dass die Performance wegen des Abhandenkommens des Laptops, auf dem die ganzen Soundeinspielungen wohl waren, nicht so ablaufen konnte wie geplant. Und diese Kommentierungen von der Performerin, sich dafür zu entschuldigen, das hat mich manchmal ein bisschen rausgezogen.
P: Würde es dich überraschen, wenn andere Menschen die Arbeit anders erleben, wenn ich jetzt zum Beispiel sage, dass mich die Videoinstallation unten total beeindruckt hat und dass ich da ganz verändert wieder rausgegangen bin?
I: Das würde mich nicht überraschen, das halte ich für gut möglich. Von daher finde ich es auch ganz gut, dass sowas gemacht wird. Bloß weil es mir nichts sagt, heißt es ja nicht, dass es niemandem was sagt.
P: Gab es insgesamt was, das du vermisst hast?
I: In der Performance sagte sie ja, dass wäre jetzt so viel Text gewesen, was ich aber so nicht empfand. Es war eher so, dass ich zwischendrin dachte: Es fühlt sich an wie ein gekürzter Text. Dadurch hatte ich den Eindruck, dass Zusammenhänge nicht so deutlich werden konnten, wie sie hätten sein können.
P: Wir suchen immer nach einem Wort, das sozusagen die allgemeine Reaktion beschreibt. Wenn du deine Reaktion auf wirklich nur ein Wort bringen müsstest, was wäre das?
I: „Berührend“ wäre glaube ich tatsächlich das Wort, das mir als erstes einfällt. Aber berührend nicht im Sinne von rührend. Also der Kopf ist dabei auch angesprochen und das ist ein Aspekt, der mich auch anspricht, der mir gefällt. Es könnte somit auch „Interessieren“ sein. Es ist nicht nur interessant, sondern es ist auch interessierend, es löst Interesse aus – tatsächlich auch, mich mit den Texten nochmal zu beschäftigen und so weiter.
P: Was wollte die Arbeit von dir, was wollte sie, dass du erlebst?
I: Für mich hat die Arbeit eine Verbindung vom Persönlichen zum Überpersönlichen, zum Gesellschaftlichen vorgeschlagen. Mein persönliches, mein privates Erleben ist nicht unabhängig von der Gesellschaft, die mich umgibt. Mein persönliches, privates Erleben, ist nicht unabhängig von meinen Vorfahren. Also diese Prägung, dieser Zusammenhang und dass etwas aus meiner Vergangenheit oder aus der Vergangenheit eben meiner Vorfahren mich prägt. Dies wird durch mich durchgehen, egal ob ich Kinder habe oder nicht, ich werde in irgendeiner Form auch wieder die nachfolgenden Generationen mitprägen. Also dieser Zusammenhang zwischen persönlich und gesellschaftlich, das war das Angebot an die Audience.
P: Würdest du sagen, das was du insgesamt erlebt hast, ist etwas, dass du im Theater erleben willst, wofür du ins Theater gehst?
I: Ja, dafür unter anderem. Dafür gehe ich ins Theater. Ja, also diese Verbindung in irgendeiner Form zu haben, etwas Persönliches mit einem Grundsätzlichen, das finde ich immer spannend. Das ist was, das ich mir wünsche vom Theater.
P: Was fehlt, wenn es nur eine Sache gibt, wenn es nur das Persönliche gibt oder nur das Gesellschaftliche?
I: Ich fehle dann, mich gibt’s dann nicht. In beiden Fällen, weil ich das Verbindungsglied in dem Moment für mich von beidem bin. So wie die Performance, die sehr persönlich war, eine Verbindung schafft zwischen mir als Person zu ihr und zur Gesellschaft. Es geht immer um Verbindung.