Jeanne: Was hast du an dem Abend erlebt?
C: Ich bin in eine atmosphärische Situation entführt worden. Und ich konnte mich ganz lange fallen lassen und vor allem die Sounds und teilweise auch die Bilder genießen. Also eigentlich waren für mich die Sounds entscheidend, die eine tolle Atmosphäre geschaffen haben. Zum Beispiel fand ich die Sequenz mit der Melodie von "Spiel mir das Lied vom Tod" von Ennio Morricone total geil. Aber auch als die Performenden auf dem Boden lagen, fand ich es wundervoll. Am Anfang fand ich es auch schräg, ich mag schräge, skurrile Situationen. Mir hat es gefallen, dass sie so sinnlos Dinge hin und her getragen haben und sie taten so, als hätte es eine hohe Bedeutung, doch letztendlich hatte es das überhaupt nicht. Das war ziemlich schräg. Dieses ständige Hin-und-her-Geräume, das Ein- und Auspacken von irgendwelchen Isomatten und anderem Zeug. Aber ab Mitte des Stücks ging es mir leider auch ziemlich auf den Keks. Da hatte es sich so ein bisschen ausgereizt.
J: Kannst du ein Gefühl oder eine Reaktion benennen, die du dabei hattest?
C: Ich glaube am ehesten war ich melancholisch. Auch wenn es viel um Traurigkeit ging, fand ich es nicht traurig.
J: Was hat diese Melancholie ausgemacht?
C: Matsch, Dreck, Klänge, unperfekte Körper, die durch den Raum schlurfen, das Licht und die Zwischenzeit von frühem und spätem Abend. In die Dämmerung reinspielen hat, finde ich, sehr gut gepasst. Ich konnte mich nach anderen Welten sehnen und sie erträumen. Es hatte etwas mit Natur und „Ur-Grund“ zu tun. Der Kontakt zur „Natur“ und irgendwie auch der Mensch, der versucht, sich dort drin zurecht zu finden. Aber der sich auch hilflos fühlt mit dem ganzen Zeug, das er mit sich herumschleppt, weil er den direkten Kontakt scheut. Insofern hatte es auch etwas leicht Apokalyptisches. Es hatte etwas Apokalyptisches, aber dafür war es auch etwas zu schräg und zu ironisch, dafür war auch die Musik viel zu positiv.
J: Die Musik war eher melancholisch als traurig?
C: Ja. Die Melancholie ist weit entfernt von der Traurigkeit und der Depression. Es ist eher ein leichtes Gefühl. Es war eigentlich eine angenehme Melancholie. Ich habe mich an vergangene Situationen und Landschaften, die ich mal mochte, erinnert. Wenn ich zum Beispiel gewandert bin.
J: Konntest du deine Träume und Erinnerungen in dem Stück wiedererkennen?
C: Die wurden bei mir ausgelöst, aber in dem Stück habe ich keine wirklichen Situationen, sondern habe eher performative Handlungen gesehen. Frauen, die Zeug hin und her geräumt haben und Lieder gesungen haben. Die haben keine Situationen gespielt, sondern Handlungen ausgeführt. Die haben dazu gedient, bei mir eigene Bilder hervorzurufen. Deswegen war es für mich eine performative Installation. Ich hatte nicht das Gefühl, dass dort Situationen gespielt wurden, sondern dass mit dem vorhandenen Raum umgegangen wird. Das hat es für mich auch technischer gemacht.
J: Was war das Technische?
C: Dieses Räumen und Hin-und-her-Laufen. Und auch die gesprochenen Texte oder besser gesagt die gesprochenen Listen. Leider habe ich die betrauert, weil am Anfang fand ich die schön-skurril und dann habe ich mich leider an fünf oder sieben Abende erinnert, bei denen ich das schon mal erlebt habe. Und diese Texte sind einmal geil, zweimal geil und auch dreimal geil aber irgendwann sind sie für mich auch abgenutzt. Das fand ich sehr schade für den Abend. Da hätten andere Texte nochmal mehr Tiefe gebracht.
J: Was kann ich mir unter einer „melancholischen Tiefe“ vorstellen?
C: Vielleicht Texte, die sehr persönliche traurige Situationen erzählen. Die dort vorgelesenen Listen haben das zwar auch irgendwie erzählt, aber irgendwann wurde diese Aneinanderreihung zu einer Technik. Ich musste leider keine traurige Erzählung aushalten, weil dann bereits ein neues Stichwort auf der Liste kam. Das war ein bisschen verschenkt, dass da nicht mehr Traurigkeit zugelassen wurde.
J: Kannst du Momente ausmachen, wo das Melancholische oder Apokalyptische besonders hervorgetreten ist?
C: Nein, das kann ich bei dem Abend nicht. Das war so ein Abend, in dem alles ganz stark ineinanderfließt und am Ende ein bisschen wie ein Sumpf ist. So wie das Festival. Es war das Ganze an sich, weshalb es für mich auch zu einer performativen Installation wurde. Es hat keinerlei klassische Dramaturgie, wie zum Beispiel Höhepunkte, sondern es ist eher eine gleichbleibende Stimmung gewesen. Und das über fast zwei Stunden, das habe ich sehr daran gemocht.
J: Am Anfang meintest du, dass du trotzdem verschiedene Phasen während des Abends erlebt hast.
C: Die Phasen liegen daran, dass für mich die Zeit anders vergeht. Ich sehe es das erste Mal und dann strömt erstmal die Atmosphäre auf mich ein. Dann finde ich mich zurecht, lasse die Musik auf mich einströmen und versuche zu verstehen, wo die Künstlerinnen mich hinführen. Dann konnte ich mich total reinfallen lassen und dann gab es so eine Phase, wo es mir zu technisch wurde und die Elemente nicht so lange für mich interessant waren. Und gegen Ende hat sich für mich eine richtige Magie entwickelt.
J: Was war das für eine Magie?
C: Ab dem Moment, wo sie dann lagen. Da hob es magisch ein bisschen ab. Ich hatte nicht das Gefühl, dass es nur mir so damit ging. Dieses Schweigen nach dem Abgang war toll. Das war ein gigantischer Moment. Dieses Nachklingen. Als hätte man alles erst hinterher gemerkt und gespürt. Dass das doch irgendwie eine ganz andere Welt war, in die man entführt wurde, und die war plötzlich vorbei, als sie aus dem Raum gegangen sind. Das waren gefühlt zwei Minuten Schweigen. Das habe ich selten im Theater erlebt. Ein Kollektiv, dass die Stille aushält. Es wurde sehr spät geklatscht. Ich habe es nicht so erlebt, dass sich gefragt wurde, ob es hier jetzt vorbei ist oder nicht. Alle wussten, dass es das Ende ist, aber trotzdem wollten alle diese Stille noch spüren. Das hatte eine sehr große Magie.
J: Wie konnte diese Magie entstehen?
C: Ich glaube, dass es davor besonders musikalisch vorbereitet wurde. Während des gesamten langen Abends, während ich in dieser Sumpfatmosphäre war, wurde fast die ganze Zeit gesummt und Klang produziert. Und ich glaube zu diesem Moment wurde hingesteuert. Aber da war auch noch dieses Swing-Quartett.
J: Das Swing-Quartett war anders?
C: Irgendwie war das ein bisschen banal und inkonsequent. Es war plötzlich eine konkrete Kapelle zu sehen und davor war die Musik für mich abstrakt. Und das Abstrakte hat die Atmosphäre mit kreiert und dann gab es plötzlich eine konkrete Kapelle die im Sumpf steht. Und da habe ich mich gefragt: Woher kommt die auf einmal? Es gab keine Figuren oder Bühnensituationen und auf einmal gab es die.
J: Und da war dann keine Melancholie mehr?
C: Nein. Ich habe mich gefragt, was das soll. Ich habe mich ein bisschen unterhalten gefühlt und habe ein bisschen mit der Musik gewippt. Ich fand es so harmlos. Ich komme doch nicht in die Naxoshalle, um unterhalten zu werden. Wenn man mit so viel Aufwand eine solche tolle Atmosphäre kreiert, warum dann das?
J: Was erwartest du, wenn du ins Theater gehst?
C: Ich erwarte entweder eine besondere Atmosphäre, die sich von meinem Alltag abhebt oder eine gesellschaftskritische Fragestellung, die mir neue Impulse gibt. Hier war es für mich die Atmosphäre.
J: Wofür würdest du im Rückblick sagen, hast du die performative Installation geschaut?
C: Um zu schauen, was das studioNAXOS so treibt, um in der Halle zu sein, weil ich es einfach toll finde. Ich habe auch nach so langer Zeit wieder Lust auf Theater und Kunst.