Philipp Scholtysik sprach am 27. März nach Das Baubo Reenactment mit J und K, die die Aufführung gemeinsam besuchten. K wollte zunächst nur zuhören, stieg dann aber doch in das Gespräch mit ein.

 

Philipp: Magst du als erstes ein bisschen erzählen, was du mit der Aufführung erlebt hast?

J: Also ich bin recht offen rangegangen. Ich habe mir zwar vorher den Text durchgelesen, aber ich hatte jetzt keine genauen Vorstellungen, was ich erwarten kann. Und ich fand es irgendwie schön, dass es relativ abwechslungsreich war. Dass es einerseits sehr ruhige Momente gehabt hat, wie den Anfang, als sie über das Salz gelaufen sind, und andererseits die Musik. Wenn Musik mit eingebaut wird, finde ich das sowieso immer irgendwie schön bei Theaterstücken. Interaktion mit dem Publikum finde ich, für mich, manchmal ein bisschen schwierig – da bin ich manchmal überfordert.

P: In dem Moment, als du selber das Seil in die Hand bekommen hast?

J: Eher, wenn man in das Publikum spricht. Das Seil war kein Problem.

P: Hattest du das Gefühl, dass bei der Interaktion nicht so klar ist, wie viel Interaktion eigentlich gewünscht ist, oder womit bist du überfordert?

J: Ich bin unsicher, was in so einem Moment angemessen ist. Ich weiß, glaube ich, nicht, wie ich mich in solchen Situationen verhalten soll. Das liegt jetzt nicht an diesem Stück, sondern ist generell so bei Theater.

P: Gab es bestimmte Momente, in denen das besonders stark war?

J: Zum Beispiel bei dieser Pausensequenz, das war ein Moment, in dem ich mich gefragt habe: "Sollen wir da interagieren oder nicht?"

P: Warst du überrascht, dass alle anderen aus dem Publikum sich ähnlich entschieden haben wie du? Also dass niemand selbst einen Witz erzählt hat?

J: Nein, ehrlich gesagt nicht.

K: Ich habe bei der Zigarette schon gedacht, dass vielleicht irgendwann jemand zugreift, weil das doch mit Nachdruck angeboten wurde. Aber am Anfang war ich auch vor allem irritiert und ängstlich, weil ich dachte: „Okay, muss jetzt was passieren? Soll ich aufstehen?“

P: Das wäre relativ einfach gewesen oder? Einfach eine Zigarette zu nehmen, ist eine niedrigere Hürde, als einen Witz zu erzählen.

K: Innerhalb dieser Pausensituation, fand ich, wurde diese Nacktheit plötzlich selbstverständlich, und es hat sich dann wirklich fast so angefühlt wie ein normales Gespräch, das man beobachtet. Am Anfang von dieser Pause war ich angespannt und dann war das aber irgendwie normal.

J: Dadurch, dass es ja auch ein relativ kleiner Raum und eine überschaubare Anzahl an Gästen gewesen ist, gab es ja schon – eine Intimität würde ich jetzt nicht sagen, aber es ist kein Riesensaal gewesen. Und da fand ich auch diese Normalität der Situation schon sehr angenehm.

K: Die zwei haben auch intensiven Augenkontakt mit allen vom Publikum gehabt.

P: Vom Gesamterlebnis: Könnt ihr eine Reaktion benennen? Was es mit euch gemacht hat, oder was es ausgelöst hat?

J: Das ist jetzt nicht so leicht, direkt danach so etwas zu benennen, finde ich. Ich weiß nicht richtig, wie ich das in Worte fassen soll, aber vor allem, was ich vorhin angesprochen habe mit dieser Normalität der Nacktheit – das fand ich im weitesten Sinne irgendwie erfrischend.

P: Ist das eher ein Gefühl oder ein Gedanke?

J: Ich glaube, das ist eher ein Gefühl. Deswegen kann ich es auch so schwer in Worte fassen. Also ich finde es halt irgendwie schön, dass so mit der Nacktheit umgegangen wurde. Ich hatte auch den Eindruck, dass das von allen eher so wahrgenommen wurde.

P: Wie geht's dir? Könntest du was benennen?

K: Jetzt gerade kann ich zusammenfassen: Ich habe mich auf jeden Fall unterhalten gefühlt. Am Anfang war ich sehr skeptisch, weil ich dachte: "Argh, dieses Gekratze auf dem Boden, es macht mich ganz wahnsinnig – ich möchte, dass es aufhört." Ich war dann sehr dankbar, dass irgendwann gesprochen wurde und nicht nur mit Geräuschen gearbeitet wurde. Und dann habe ich mich wirklich irgendwann wohl gefühlt und kann aber nicht benennen, was das war. Vielleicht war es auch eher auf einer Gefühlsebene, dass ich dachte: "Ja, ich fühle mich mit euch irgendwie gerade auf einer Ebene."

P: Dieses Gefühl: "Ich bin mit euch auf einer Ebene", war das im gesamten Raum, oder vor allem mit den beiden Performerinnen?

K: Mit den beiden. Das Publikum habe ich eigentlich gar nicht so richtig wahrgenommen. Von denen habe ich mich recht weit entfernt.

P: Hast du sie nicht so richtig wahrgenommen, oder hattest du das Gefühl, ihr wart in unterschiedlichen Situationen?

K: Doch, ich habe sie schon angeguckt, aber ich habe dann irgendwie nicht das Gefühl gehabt, dass sie ähnlich reagieren wie ich. Ich hatte nicht das Gefühl, dass da was zurückkommt oder auch auf die zwei was gespiegelt wird, was ich jetzt empfinde.

P: Mit welchen Erwartungen seid ihr hierhergekommen?

K: Also wir gehen eigentlich kaum ins Theater. J hat mir das jetzt geschenkt und ich habe zuvor noch schnell den Text gelesen. Und dann dachte ich kurz: "Boah, griechische Mythologie! Und dieses Bild in der Ankündigung – naja, ich weiß nicht – sieht alles etwas abstrakt aus." Also ich bin jetzt schon positiv überrascht, dass ich mich darin gut gefühlt habe.

P: Warst du überrascht, dass sie was damit anfangen konnte? Auf irgendeiner Grundlage hast du es ihr vermutlich geschenkt.

J: Ich habe es ihr zum Geburtstag geschenkt, weil ich halt den Text gelesen habe und dachte, das könnte was sein. Und weil ich nicht davon ausgegangen bin, dass es wirklich was Historisches ist. Mir hat es auch gefallen und es war wirklich das gesamte Stück so. Irgendwie hat mich das einfach abgeholt.

K: Gleichzeitig fühlt sich aber irgendwie nichts davon abgeschlossen an, oder? Ich kriege wirklich vieles davon gar nicht zusammen. Zum Beispiel diese Stelle, als gesprochen wurde und zwischendurch paar Töne auf dem Klavier...

P: Ist das ein positives Gefühl, Sachen nicht zusammen zu kriegen? Oder macht es dich eher ratlos?

K: Ich glaube währenddessen ein bisschen ratlos. Jetzt gerade denke ich aber eher, dass es mehrere Anknüpfungspunkte gibt und dass das vielleicht ganz gut ist.

P: Eher so wie er es gesagt hat, dass es abwechslungsreich war?

K: Ja, vielleicht das. Naja, ich dachte zwischendurch dann auch: „Was ist jetzt hier los? Geht es in Richtung Body-Positivity? Ist es nur das?“

J: Mit dem nicht abgeschlossen sein: Also ich finde, das ist auch eher was Positives, dadurch dass man im Nachhinein dann wirklich auch die Möglichkeit hat, noch wirklich darüber nachzudenken. Lieber denke ich noch mal darüber nach, als alles direkt vor Augen geführt zu bekommen.

K: Ich glaube, ich habe manchmal Sorge, wenn ich mir sowas angucke, einerseits dass es zu abstrakt ist und ich gar nichts damit anfangen kann, und andererseits, dass es zu plump ist und ich sowas Vorgefertigtes bekomme. Ich glaube heute war das ganz gut dazwischen.

P: Gab es von dem Gesamterlebnis etwas, dass sehr rausfällt? Etwas das in eine ganz andere Richtung ging?

K: Am ehesten vielleicht diese Pause, oder? Oder das Ende: Diese Aufforderung von der man nicht weiß, ob es wirklich eine war. Oder ob das einfach nur noch ein Twist am Ende war.

P: Das finde ich einen interessanten Moment. Da war die Einladung irgendwie auch nicht klar, oder? Also ich hätte unter diesen riesigen Rock schlüpfen können und mich da selber hinstellen und tanzen können. Aber wenn ich das gemacht hätte, hätte ich mich ziemlich komisch gefühlt und zwar nicht nur, weil ich mich exponiere. Sondern auch, weil ich eine Grenze übertrete, wozu ich vielleicht doch nicht wirklich eingeladen worden bin, sie zu übertreten. Jetzt habe ich viel von mir gesagt, wie ich das wahrgenommen habe. Das war ein bisschen anderer Moment als bei der Pause, oder?

J: Meinerseits ja, aber wie gesagt diese Unsicherheit, ob man überhaupt richtig reagieren kann, war bei beiden gleich.

K: Gleichzeitig mochte ich auch nicht, die zu enttäuschen. Dass es wirklich niemand macht. Ich glaube in beiden Fällen hätte ich mir auch gedacht: „Ja, Respekt!" und wäre froh, wenn eine Person aus dem Publikum, zu dem ich ja auch gehöre, das jetzt erfüllt hätte. Aber die Einladung am Ende war schon weniger konkret. Den Körper einzubringen, ist glaube ich auch immer eine größere Überwindung. Man macht sich angreifbar, wenn man wirklich selbst auf die Bühne geht.

P: Gab es irgendwas, dass ihr vermisst habt?

J: Würde ich nicht sagen. Dieser Abwechslungsreichtum hat es für mich ausgemacht. Wenn es nur die ganze Zeit Musik und Tanz gewesen wäre, wäre es für mich auch wieder langweilig gewesen. Und gerade durch diese ruhigen Sequenzen hat sich eine Spannung aufgebaut und ich habe mich gefragt: "Okay was kommt jetzt?" Ich fand es ausgewogen und habe von daher nichts vermisst.

K: Ich glaube, ich habe schon die ganze Zeit gedacht, dass diese Geschichte von Baubo noch mal weiter aufgegriffen werden müsste.

P: Das mit Persephone wurde gar nicht aufgelöst, oder? Die ist einfach verschwunden und Demeter sucht sie.

K: Auch die Geschichte von Demeter selbst wurde nicht aufgelöst. Aber ich bin auch sehr daran gewöhnt, dass Geschichten zu Ende erzählt werden.

P: Heißt das, du bist jetzt gar nicht so sicher ob du vermisst hast, dass das zu Ende erzählt wird?

K: Ja, ich habe jetzt nicht das Gefühl, ich dürfte eine Kritik daran üben, sondern denke eher, ich sollte damit klarkommen.

P: Würde es euch sehr überraschen, wenn jemand anderes das insgesamt völlig anders erlebt hat?

K: Würde mich gar nicht überraschen.

J: Wir waren da in unserem Umfeld auch, ungefähr mit Gleichgesinnten, wenn aber jemand komplett ein anderes Weltbild hat, dann kann ich mir schon vorstellen, dass das Stück anders wahrgenommen wird. Aber dann würden die wahrscheinlich auch nicht in so ein Theaterstück gehen. Von daher glaube ich nicht, dass die Leute, die sich explizit für das Theaterstück entschieden habe, es groß anders wahrgenommen haben.

P: Du hast eigentlich gerade das Gegenteil gesagt. Dich würde es nicht überraschen, oder?

K: Mich würde es nicht überraschen, wenn jemand eine sehr ablehnende Haltung dagegen hätte. Weil die optischen Elemente, als auch die Geräuschelemente glaube ich nicht gut ankommen könnten. Ich fand es schon sehr speziell. Allein mit so viel Haut konfrontiert zu sein, ist nicht für jede Person etwas. Und ich hatte auch das Gefühl, man braucht schon Sympathie für die beiden. Die sind auch sehr nah an mir vorbei gegangen. Ich glaube, wenn ich jetzt für die Gesichter und die Stimmen nicht Sympathie gehabt hätte, dann hätte ich mich bedrängt gefühlt. Auch von den intensiven Blicken.

P: Wann hast du gemerkt, dass du Sympathie für die beiden hast?

K: Als die Masken gefallen sind und als gelächelt wurde, glaube ich. Und als die zwei gesprochen haben. Ich glaube, zuerst hat sie Englisch gesprochen.

P: Wie war das für dich?

J: Ich glaube, auch wenn ich keine starke Sympathie für die entwickelt hätte, hätte ich mich nicht bedrängt gefühlt. Die Nacktheit an sich ergibt einen intimen Rahmen. Ich kann jetzt nicht sagen, wodurch das entsteht. Aber das war auf jeden Fall da.

P: Nacktheit kann ja auch etwas sehr Offensives sein. Ist dafür, ob ich mich davon möglicherweise bedrängt fühle, ob das in gewisser Weise übergriffig sein könnte, nicht wichtig, ob es so eine Sympathieebene gibt?

J: Ich hatte überhaupt gar nicht so ein Gefühl. Vielleicht offensiv, ja, aber nicht übergriffig. Ich kam mir nicht bedrängt vor. Wie zum Beispiel, dass ich da hingucken muss. Ich hatte relativ schnell so ein Normalitätsgefühl. Am Anfang war es überraschend, aber dann wurde es relativ schnell anders.

K: Wurde die Nacktheit dann zu einer Nebensächlichkeit?

J: Also ich meine, im ersten Moment, klar, ist man überrascht und so: „Was bedeutet das jetzt alles?“ Aber dann wurde es nebensächlich. Also nein, nebensächlich würde ich es glaube ich auch nicht nennen, weil es ja ein wichtiger Faktor im Stück war.

K: Ich finde, man hat sich auch so ein bisschen eingeladen gefühlt, darüber zu schmunzeln, wie das präsentiert wurde. Zum Beispiel waren an der einen Stelle diese Bewegungen, die an Bodybuilding angelehnt waren. Ich finde das hatte auch zu einer Annäherung geführt. Ich musste oft lachen, irgendwie.

P: Wäre es insgesamt sehr anders gewesen, wenn es nicht diesen Humor gegeben hätte?

K: Ich glaube, dann wäre ich auch mit einem unruhigeren Gefühl und mit mehr Fragen gegangen. Ich glaube so kann ich für heute erstmal denken: „Ich hatte einen guten Abend und werde gucken was weiter damit passiert.“ Wenn es noch ernster gewesen wäre, hätte ich eher das Gefühl, mir ist ganz viel mitgegeben worden, mit dem ich danach etwas machen soll. Fast so als wäre der Abend umsonst, wenn ich danach nicht weiß, was ich dann damit mache.

P: Wenn ihr jetzt gezwungen würdet, eine Reaktion zu benennen. Was würdet ihr sagen?

K: Ist das wie die Überschrift „Geborgenheit“, oder so?

P: Genau, wir suchen halt immer so ein bisschen nach einem Stichwort. Dass dieses Stichwort nicht alles auf einmal sagen kann, ist ja klar.

K: Für mich: Nähe. Ich überlege aber auch, dass ich eine Frau bin. Eine Nähe zur Weiblichkeit. Aber auch einfach zwischenmenschlich.

P: Würde sich an der Arbeit etwas verändern, wenn keine Cis-Männer rein dürften, würde das einen Unterschied machen?

K: Wenn im Publikum keine Cis-Männer gewesen wären, hätte das glaube ich für mich einen Unterschied gemacht. Weil ich denke, ich kann schon so ein bisschen als Frau ein empowerndes Gefühl mitnehmen. Ich glaube jedes Mal, wenn ich weibliche nackte Körper auf einer Bühne sehe, oder so exponiert sehe, ist das ein bisschen so. Und ich denke, wenn das nur unter Frauen gewesen wäre, wäre das nicht so stark gewesen.

P: Würdet ihr sagen, dass ihr unter anderem ins Theater geht, um sowas zu erleben?

J: Ja. Nehmen wir jetzt mal Hamlet als Beispiel, das finde ich langweilig. Und das Stück heute ist abwechslungsreich und gibt Spielraum für verschiedenen Interpretationen.

K: Ich würde auf jeden Fall auch sagen: „Das war jetzt lohnenswert als Theaterabend“. Ich weiß nicht, ich glaube ich selber beschäftige mich zu wenig mit Theater, als dass ich sagen könnte: "Für sowas gehe ich ins Theater." Aber ein enttäuschtes Gefühl habe ich nicht.

P: Könnt ihr als letztes versuchen zu beschreiben, was das Stück von euch wollte? Was es sozusagen wollte, was ihr für eine Erfahrung machen sollt?

J: Es ist schwer zu sagen. Wenn man den Ankündigungstext gelesen hat, weiß man ja schon worum es geht. Also das Sichtbarmachen von Weiblichkeit. Ich weiß nicht, vielleicht hätte ich was anderes geantwortet, wenn ich nicht vorher schon mit diesen Gedanken reingegangen wäre.

K: Fällt mir schwer, drauf zu antworten. Kann ich dir jetzt nicht sagen.