Jeanne Eschert sprach am 28. Juli nach Antigone. Chorstück für zwei Solistinnen frei nach Sophokles mit einer Person aus dem Publikum.

 

Jeanne: Kannst du zu Beginn erzählen, was du erlebt hast?

O: Es war relativ warm, in der Mitte stand die Bühne und drumherum waren an drei Seiten die Sitze platziert. Auf einer Seite waren keine Stühle, das ist mir sofort aufgefallen. Und es war relativ dunkel. Das habe ich als erstes gesehen.

J: Und über den weiteren Verlauf, was hast du da erlebt?

O: Logischerweise das Stück. Mit wenigen Hilfsmitteln. Was ich aber gut fand.

J: Und wenn du eine von deinen Reaktionen, die du während des Stücks hattest, benennen müsstest, die dein Gefühl insgesamt gut beschreibt, welche wäre das?

O: Vielleicht ein bisschen Überraschung. Aber absolutes Wohlfühlgefühl. Ich weiß nicht, ob ich alles verstanden habe, aber ich habe mich wohlgefühlt.

J: Ist das permanent so gewesen?

O: Ja.

J: Oder gab es einen Moment, in dem es nicht so war?

O: Naja, vielleicht der Rauch.

J: Warum?

O: Weil es Rauch ist.

J: Und den mochtest du nicht?

O: Nein – also das ist etwas sehr Persönliches.

J: Und die Überraschung, war die auch die ganze Zeit?

O: Nein. Ich habe mir davor keine Gedanken gemacht, was auf mich zu kommt. Ich kenne das als klassisches Stück. Ich habe das mal gelesen vor Jahren, gefühlten Jahrzehnten, in der Schule. Und ich mag klassische Stücke. Ich mag, wenn sie klassisch aufgeführt sind. Deswegen war ich ein Stück weit überrascht.

J: Dass das eben nicht so war, wie du es erwartet hattest?

O: Ja. Also ich hatte wenig Erwartungen, aber sie waren halt klassisch. Und deswegen war ich halt überrascht.

J: Was wäre für dich ein klassisches Stück in dem Fall gewesen?

O: In dem Fall, wenn alle Charaktere dargestellt werden, sozusagen, und wenn sie den Text interpretiert vorgetragen hätten. Stattdessen gab es nur zwei Personen, die verschiedene Rollen angenommen haben.

J: Und wie ist es dann übergegangen von Überraschung zu etwas anderem?

O: Indem das Stück fortlief. Das war ein Gewöhnungseffekt sozusagen.

J: Und was kam dann für ein Gefühl?

O: Ich weiß nicht, man hat dann gespannt weitergelauscht, sozusagen.

J: Wäre dann Spannung das weitere Gefühl?

O: Ja, eigentlich schon. „Wie geht es weiter?"

J: Du warst dann richtig dabei?

O: Ja, schon irgendwie.

J: Und gab es irgendwann einen Bruch, wo es nicht so war?

O: Nein, eigentlich nicht.

J: Gab es irgendwann eine Lockerung bei dir?

O: Nein, eigentlich nicht.

J: Bis zum Schluss gespannt?

O: Ja.

J: Und wie war es, als es dann vorbei war? War die Spannung dann noch da? War sie auf einmal weg?

O: Also es war keine klassische Anspannung. Ich war gespannt und es war keine Anspannung. Für mich ist das ein Unterschied.

J: Kannst du den Unterschied erklären?

O: Naja, gespannt ist was Positives, eine Anspannung ist für mich negativ behaftet.

J: Wieso?

O: Für mich ist angespannt eher gestresst glaube ich. Aber gespannt sein auf etwas finde ich nicht stressig.

J: Würde konzentriert auch passen?

O: Ja, ich glaube schon. Sonst könnte ich nicht allem folgen. Weil ich ja noch nicht weiß, ob ich alles verstanden habe. Ich bin mir nicht sicher, ob ich alles verstanden habe.

J: Und gab es darin eine Anstrengung?

O: Nein, anstrengend war es nicht, aber man muss konzentriert sein. Also für mich zumindest, um die Worte zu verstehen.

J: Aber das hat funktioniert?

O: Ja, eigentlich schon.

J: Die Gespanntheit hat sich irgendwie gelohnt?

O: Ja, ich finde schon. Ich fand das ein gutes Stück.

J: Warum konntest du immer gespannt bleiben?

O: Letzten Endes liegt es an den Schauspielerinnen. Weil es gut vorgetragen wurde. Wenn es zwei ganz langweilige Personen auf der Bühne gewesen wären, die ihren Text in einer monotonen Stimme vorgetragen hätten, dann wäre ich nicht mehr gespannt geblieben. Ich finde die beiden Schauspielerinnen haben das sehr gut gemacht.

J: Ich frage mich, was hinzukommen würde, damit sich deine Angespanntheit ändern würde.

O: Dann hast du doch die Vermutung, dass es negatives Gefühl wäre.

J: Oh, das meinte ich nicht. Was müsste geschehen, so dass du ein anderes Gefühl gehabt hättest?

O: Ach du lieber Gott. Vielleicht wenn da ein Überraschungsmoment gekommen wäre.

J: Es hat dich sonst nicht so überrascht?

O: Nein, das wollte ich nicht sagen. Ich glaube das ist so: „Hätte, hätte Fahrradkette“ – das weiß ich nicht. Vielleicht hätte ich anders reagiert, aber das weiß ich nicht.

J: Hast du etwas vermisst?

O: Nein, wenn man sich auf etwas einlässt, dann gibt es auch nichts zu vermissen.

J: Würdest du das bei jedem Stück sagen, wenn du dich drauf einlässt, dann vermisst du nichts? Oder gibt es auch Stücke, wo du merkst, das geht für dich nicht.

O: Ich glaube die gibt es schon. Wenn es ganz unverständlich ist. Wenn man gar nicht versteht, worum es geht.

J: Gab es Momente, in denen ein anderes Gefühl entstanden ist, als diese, die du genannt hast? Vielleicht am Ende oder in der Mitte?

O: Am Ende: die Freude, dass ich mir das angeschaut habe. Also ich fand es irgendwie gut, dass ich mir das angesehen habe.

J: Kannst du sagen, warum?

O: Weil es gut war.

J: Wofür glaubst du, hast du es geschaut?

O: Ist es egoistisch zu sagen: für mich? Oder willst du den Grund wissen? Für wen, oder warum? Weil was ist „wofür“?

J: Du kannst diese Frage in verschiedene Richtungen beantworten. Ich will nicht vorgeben, in welche.

O: Dann würde ich sagen, für mich und für die Kultur, weil ich die vernachlässigt habe, so coronamäßig.

J: Ist es, obwohl du ein klassisches Stück erwartet hast, ein Theaterstück, dass du im Theater erleben möchtest?

O: Ja. Nur weil ich was Klassisches erwartet habe, heißt es nicht, dass ich es nicht auch anders mag. Ich mag klassisch, ich steh dazu. Das ist so ein bisschen altbacken. Aber ich freue mich auf Neuinterpretationen.

J: Fällt dir noch etwas anderes ein, wieso sich das Gespanntsein bei dir etabliert hat, außer wegen dem Können der Schauspielerinnen?

O: Ich habe mich auch gefragt, ob jemand noch dazu kommt. Weil die Schauspielerinnen hatten diese weißen Plateausandalen und die Person von der Bar hatte sie in schwarz an. Und da habe ich mich gefragt, ob sie noch dazu kommt. War vielleicht ein bisschen überinterpretiert. Bei zwei Solistinnen ist es eigentlich eindeutig. Aber wegen dem Schuhwerk ist es mir halt aufgefallen.

J: Das heißt nach der ersten Überraschung warst du gespannt, ob du ein zweites Mal überrascht wirst?

O: Genau.

J: Fällt dir noch was ein?

O: Waren die Hunde eingespielt?

J: Das weiß ich nicht, was haben sie mit dir gemacht?

O: Wie meinst du das?

J: Warum hast du dich gefragt, ob sie eingespielt waren?

O: Es hat einmal so gepasst und ich fand gut, dass die Schauspielerinnen sich nicht aus dem Konzept haben bringen lassen. Weil ich mich ja gefragt habe, ob die eingespielt wurden oder ob die echt waren.

J: Für mich klingt das so, wenn nicht kannst du das ja auch nochmal klären, dass du auf viele kleine Dinge geachtet hast. Wenn das so ist, woran hat es gelegen?

O: Das ist mein innerer „Monk“. So bin ich halt.

J: Und nicht, weil das Stück sehr reduziert war?

O: Nein, das glaube ich nicht.

J: Das wäre bei einem klassischen Stück auch so bei dir?

O: Ich glaube, wenn jetzt Hunde bellen würden, dann würde ich es einfach hören.

J: Auch das mit der Person von der Bar?

O: Ja das auch. Das ist der innere „Monk“.

J: Fällt dir noch was ein – wieso diese Gespanntheit?

O: Vielleicht, weil es nicht klassisch war. Mit Gedanken wie: „Wie geht es weiter?" und weil ich nicht genau weiß, ob ich es hundertprozentig verstanden habe. Es waren auch Szenen dabei, die auch im Konjunktiv liefen. Sie waren nicht geschrieben, aber man hat sie dargestellt, sozusagen. Das fand ich auch irgendwie überraschend.

J: Das heißt du hattest immer kleine Überraschungen im Stück? Und die Frage, was jetzt noch passiert?

O: Ja, genau.

J: An welches Gefühl würdest du zu dem Stück sonst noch denken?

O: Ich glaube insgesamt das Wohlsein. Ich habe ein konstant positives Gefühl gehabt. Es gab nichts Negatives für mich. Ich war gespannt und habe mich am Ende des Stücks gefreut.

J: Dabei frage ich mich: Wann hättest du dich nicht wohlgefühlt?

O: Ich glaube wenn ich es nicht verstanden hätte. Wenn ich gar nicht gewusst hätte, in welche Richtung es geht. So ein Stück habe ich auch schon mal gesehen. Am Ende geht man raus und hat nichts verstanden, weiß nicht worum es ging und dann geht man nach Hause und denkt kurz auch noch nach und das wars dann auch. Das war dann vergeudete Zeit. Das hatte ich jetzt nicht das Gefühl. Ich hatte nicht das Gefühl, es wäre vergeudete Zeit gewesen.

J: Was bedeutet dieses „verstehen“? Dass du folgen kannst?

O: Das ist logischerweise etwas Subjektives. Wenn ich verstehe, in welche Richtung es geht, um was es überhaupt geht. Da geht es nicht darum, ob es mir gefällt oder nicht, aber ich muss irgendwie ein Stück weit verstehen, um was es geht.

J: Es gab ja auch diese erklärenden Momente und diese delegierenden Momente der Bewegungen.

O: Das waren so Regieanweisungen, die fand ich gut. Das bleibt auch hängen. Du bist die Schauspielerin. Wir sind hier rausgekommen und haben das und das gesagt. Du bist Ferdinand, du bist Kerstin, du bist Susanne, und dann haben wir gesagt, was sind unsere Posen oder so und dann haben wir die ausprobiert. Also sowas bleibt hängen.